Jungle World Nr. 6, 10. Februar 2011
Insgesamt  22 Jahre diente Abolfazl Eslami der Islamischen Republik als Diplomat.  Der Absolvent der iranischen Diplomatenschule gehörte zum ersten  Jahrgang des nachrevolutionären diplomatischen Korps und war während  seiner Amtszeit unter anderem mit den Nuklearverhandlungen zwischen der  Europäischen Union und dem Iran sowie mit dem Fall der im Evin-Gefängnis  zu Tode gefolterten iranisch-kanadischen Journalistin Zahra Kazemi  befasst. Er setzte sich 2005 nach Japan ab, wo er mittlerweile mit  seiner Familie lebt. Im Interview mit der Jungle World berichtet er  Interna aus der iranischen Außenpolitik.
Interview: Carl Melchers
Von 1996 bis 2000 arbeitete ich als Diplomat bei der Sektion des  Nichtverbreitungsabkommens (NPT) der UN. In dieser Zeit gab es viele  Verhandlungen zwischen den Vertretern der EU-Troika und dem iranischen  Verteidigungsministerium, den Revolutionswächtern und dem Büro des  religiösen Führers. Zuvor war ich in der Botschaft auf den Philippinen  tätig. Weil das Regime islamische Extremisten und muslimische  Aufständische in Thailand und auf den Philippinen unterstützte und wir  Diplomaten gegen diese Politik waren, es aber sehr gefährlich war, das  offen zu äußern, ließ ich mich zu den UN versetzen. Aber meine Situation  wurde dort nicht besser.

Abolfazl Eslami, ehemaliger Diplomat der Islamischen Republik Iran (Foto: privat)
Nach vier Jahren Arbeit in der NPT-Sektion hatten wir ein letztes  Treffen mit den Vertretern der EU-Troika. Sie schlugen uns vor, dass die  iranische Regierung ihre versteckten Nuklearanlagen offenlegen solle.  Für den Fall, dass sich dann herausstellen würde, dass diese Anlagen nur  friedlichen Zwecken dienen, würden die Europäer helfen, dem iranischen  Volk eine Nuklearanlage zu bauen. Aber zuerst wollten sie sich  vergewissern, dass das iranische Atomprogramm keine militärischen Zwecke  verfolgt.
Was geschah dann?
Ich schrieb einen Bericht an das Büro des religiösen Führers, worin  ich den Vorschlag der EU-Troika detailliert darlegte. Aber aus dem Büro  des religiösen Führers kam die Antwort: »Nein, wir können ihnen nicht  unsere geheimen Aktivitäten offenlegen.« Daraufhin wurde der Vorschlag  von iranischer Seite abgelehnt.
Haben Sie angesichts dessen nicht gemutmaßt, dass das iranische Atomprogramm doch nicht rein ziviler Natur ist?
Vorher konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie an einer Atombombe  arbeiten. Aber als sie den Vorschlag zurückwiesen, wurde mir klar, dass  sie wirklich genau das tun. Sie wollen keine Nuklearanlage für das  iranische Volk, wie sie offziell immer behauptet haben. Zivile  Nuklearanlagen sind nur ein Vorwand, um an Nuklearwaffen zu kommen. Wir  iranischen Diplomaten waren uns dessen anschließend vollständig bewusst.  Deshalb habe ich dann auch die NPT-Sektion der UN verlassen. Ich ging  dann als Botschaftsberater nach Tokio.
Wie fühlt man sich eigentlich als Diplomat eines Schurkenstaats?
Glauben Sie mir: Viele, viele meiner ehemaligen Kommilitonen, die mit  mir die Diplomatenschule absolvierten, sind sehr betrübt darüber, was  mit unserem Land heute geschieht. Aber Sie müssen verstehen, wie sehr  sie sich fürchten. Wenn sie versuchen, sich abzusetzen, oder preisgeben,  was sie wirklich denken, bringen sie ihre Familien in Gefahr.
Wann und warum haben Sie dennoch beschlossen, sich abzusetzen?
Das ist eine längere Geschichte. Ich war ja bereits unglücklich mit  meinem Job. Nach meiner Zeit in Japan ließ ich mich in die  Amerika-Abteilung versetzen, wo ich dann im Kanada-Ressort arbeitete.  Unter Khatami hatten wir dort mit dem Fall Zahra Kazemi zu tun. Zahra  Kazemi war eine iranisch-kanadische Journalistin, die an den Folgen  ihrer Folterungen im Evin-Gefängnis starb. Als eine Delegation  kanadischer Diplomaten in den Iran kam, sollte das Kanada-Ressort, für  das ich verantwortlich war, zwischen der kanadischen Delegation und der  iranischen Justiz und dem Informationsministerium vermitteln. Dabei ging  es um die Herausgabe der Leiche. Die Justiz und das  Geheimdienstministerium wollten die Leiche nicht an die Familie  zurückgeben. Ich sollte einen Bericht für die iranische Seite schreiben.  Also schrieb ich, sie sollten die Leiche zurückgeben, aber das wurde  abgelehnt. Ich argumentierte, dass die Familie ein Recht habe, die  Leiche zu begraben. Aber sie war bereits begraben worden. Kazemis Sohn  Estephan streitet bis heute darum, dass die Leiche nach Kanada  zurückkehrt.
Warum wollten die Justiz und das Informationsministerium die Leiche nicht zurückgeben?
Mir haben sie gesagt, wenn wir die Leiche zurückgeben würden, könnten  forensische Experten in Kanada trotz der Verwesung noch anhand von  Röntgenbildern Frakturen an den Knochen feststellen. Sie würden  feststellen, was Zahra Kazemi im Gefängnis widerfahren ist, und dann der  Islamischen Republik einen internationalen Skandal bereiten. Sie haben  sogar zugegeben, dass man ihr harte Gegenstände in die Vagina geschoben  hat, und dass forensische Experten auch dies feststellen könnten. Im  Evin-Gefängnis ist es eine gängige Praxis, harte Gegenstände in das  Rektum oder in die Vulva zu schieben, um die Gefangenen zu Geständnissen  zu zwingen. Daher wollten sie die Leiche nicht herausgeben.
Mit wem standen Sie in diesem Fall auf iranischer Seite in Kontakt?
Saeed Mortazavi war damals Generalstaatsanwalt. Ein Jahr später, als  Mohammed Khatami sein Amt verlor und Mahmoud Ahmadinejad an die Macht  kam, wurde Manouchehr Mottaki iranischer Außenminister. Das Büro für  Investigation und Sicherheit des Außenministeriums schickte jemanden zu  mir, der mich fragte, warum ich so einen Bericht geschrieben hätte. »Du  bist ein iranischer Diplomat und kein kanadischer«, sagte man mir. An  diesem Punkt beschloss ich, den Iran zu verlassen.
Wie sind Sie dann aus dem Iran entkommen?
Ich fand eine Ausrede, um das Land zu verlassen. Einer meiner Freunde  war in Tokio gestorben und ich sagte, ich wollte zu seiner Beerdigung,  was durchaus der Wahrheit entsprach. Nur hatte ich nicht vor  zurückzugehen. Ich nahm für die Reise absichtlich ein Touristenvisum und  nutzte nicht meinen Diplomatenpass, denn Diplomaten werden sehr genau  überwacht. Ich wollte mich in Japan an die kanadische Botschaft wenden  und den Fall Zahra Kazemi aufdecken. Ich dachte, dann könnte ich ein  Visum für Kanada bekommen. Aber als ich dort meinen Fall darlegte,  erklärten sie mir, dass ich in Japan in einem sicheren Drittland sei und  daher in Japan Asyl beantragen solle. Deshalb blieb ich in Japan.
Was sagten die Japaner dazu?
Die sagten, wenn ich dort bliebe, wäre das ein Problem für sie. Die  iranische Regierung habe gedroht, es werde Probleme bei ihren  Ölgeschäften geben, wenn ich Asyl bekäme. Und Japan ist ein wichtiger  Abnehmer iranischen Öls. Also gaben sie mir zunächst nur eine auf sechs  Monate befristete Aufenthaltserlaubnis. Für mich und meine Familie war  das schrecklich. Als ihnen nach sechs Monaten klar wurde, dass ich nicht  zurückgehe, gaben sie mir ein Visum für drei Jahre, mehr nicht.
Wie ist Ihr Status heute?
Vor zwei Jahren lief das Visum aus. Wieder fragten sie mich, ob ich  nicht zurück in den Iran wolle. Ich sagte: »Solange Ahmadinejad an der  Macht ist, kann ich unmöglich zurück.« Also befragten sie mich noch  einmal und gaben mir für weitere drei Jahre ein Visum.
Wurden Sie auch von iranischer Seite unter Druck gesetzt?
Das Regime schickte eine Delegation von sechs Leuten vom Büro für  Investigation und Sicherheit im Außenministerium. Sie sagen nie ihre  Namen und reisten wie üblich mit falschen Identitäten in Japan ein. Sie  kamen in mein Hotel und sagten, ich müsse in den Iran zurück, »sonst  kommen unsere Agenten und dir wird etwas passieren«. Sie sagten, ich sei  in Japan nicht sicher, schließlich hätte ich 22 Jahre für das  diplomatische Korps gearbeitet, sie sagten: »Du bist ein Diplomat, du  kannst nicht bleiben.« Aber ich ging nicht. Zum Glück konnte ich in  Japan bleiben.
Passierte nach dieser Drohung irgendetwas?
Ich hatte viele Probleme. Die iranische Botschaft folgte mir auf  Schritt und Tritt. Und die japanische Regierung wollte nicht, dass ich  Sachen gegen das Regime sage. Einmal sprach ich mit dem japanischen  Rundfunk NHK, aber sie veröffentlichten das Interview nicht.
Sie haben nun eine politische Bewegung mitbegründet. Worum geht es?
Als die grüne Bewegung anhob, war ich in Japan. Ich schrieb etliche  Briefe an meine Freunde, dass sie bitte nicht eine derart kriminelle  Regierung unterstützen dürften. Jetzt haben wir – wir sind sechs  ehemalige Diplomaten – die Green Embassy Campaign gegründet und haben  unsere Kollegen dazu aufgerufen, sich uns anzuschließen. Meine  Mitstreiter sind in Norwegen, Belgien, Finnland, Dänemark, einer ist in  Amerika.
Was sind Ihre politischen Ziele?
Wir wollen Menschen, die noch in das System integriert sind, zu einem  Ausstieg bewegen und sie dazu bringen, sich gegen das Regime  zusammenzuschließen. Selbstverständlich bedroht uns das Regime. Sie  sagen: »Wir werden nicht zulassen, dass ihr eure Aktivitäten ausweitet.«  Ich habe mit einigen Oppositionsgruppen im Ausland gesprochen, aber  jede von ihnen bekämpft das Regime für sich. Wir müssen aber gemeinsam  kämpfen. Jetzt sind wir wie viele kleine Bächlein, die vor sich  hinströmen. Wir müssen aber wie ein einziger gewaltiger Fluss werden,  wenn wir das Regime wegspülen wollen. Ein Problem ist, dass die  Botschaften des Regimes in der ganzen Welt Pläne und Budgets haben, um  die Iraner in der Diaspora gegeneinander aufzubringen und auszuspielen.  Ich hoffe, dass die Vereinigten Staaten, Europa und die internationale  Gemeinschaft die bestehenden Sanktionen auf den Ölexport ausweiten. Ich  weiß aus meiner Zeit als Diplomat, dass das Regime meint, solange das  Ausland iranisches Öl kaufe, könne es machen, was es will.
Haben Sie und Ihre anderen ausgestiegenen Kollegen keine Angst,  dass Sie nach einem Umsturz im Iran als Kollaborateure angesehen werden,  als Opportunisten, die noch rechtzeitig die Seite wechseln wollten?
Wir glauben nicht, dass so etwas passieren wird, weil die Bevölkerung  das Regime hasst und alle schätzt, die sich gegen das Regime wenden.
Was denken Sie über die Ereignisse in Tunesien und Ägypten?
Was 2009 bei uns angefangen hat, war dasselbe wie in Tunesien. Was  die Tunesier geschafft haben, wollen wir auch im Iran erreichen. Das  iranische Volk hat gelernt, dass die Islamisten unser Land zerstören.  Keiner will sie noch an der Macht. Ich bin mir sicher, dass Ahmadinejad  das Ende der Islamischen Republik bedeutet und dass innerhalb von drei  Jahren alles vorbei sein wird.
http://jungle-world.com/artikel/2011/06/42590.html